Liberty baut angesichts schwindender Kapazitäten Neugeschäft aus

Adrian Ladbury, Redakteur für Commercial Risk Europe, erörtert mit Felix Boeni, Geschäftsführer der Zürcher Niederlassung von Liberty Specialty Markets, dem Sponsor dieses Newsletters, die grossen Herausforderungen, denen sich das Risiko- und Versicherungsmanagement in der Schweiz in dieser unsicheren Zeit gegenübersieht. Engere Vertragsformulierungen, sinkende Cyber-Kapazitäten und Preiserhöhungen erfordern in dieser Zeit mehr Beständigkeit und Partnerschaft, argumentiert er.

 

Adrian Ladbury: Wie sollten Versicherungsprodukte angepasst und verbessert werden, um der aktuellen Finanzkrise, die durch die Pandemie entstanden ist, Rechnung zu tragen?

Felix: Natürlich wäre es fantastisch, eine Kristallkugel zu besitzen, die einem dies sagen könnte. Nach meiner besten Einschätzung werden die Hauptauswirkungen der Pandemie auf die Versicherungsprodukte wohl in einer grösseren Präzision der Vertragsformulierungen in den Policen liegen.

Die Auswirkungen der Pandemie haben deutlich gemacht, dass für die Versicherungsnehmer absolute Klarheit darüber herrschen muss, welche Schäden abgedeckt sind und welche nicht. Es sei daran erinnert, dass Liberty sich auf dem Schweizer Markt auf das Versicherungsgeschäft für Finanzdienstleister konzentriert, anders als in unseren sonstigen europäischen Märkten, wo wir eine breitere Produktpalette anbieten. Daher sind die Auswirkungen der Pandemie auf die Versicherungsprodukte, die auf dem Schweizer Markt angeboten werden, begrenzt.

Gleichwohl erwarte ich, dass in Zukunft zusätzliche Pandemieausschlüsse aufgenommen werden. Alternativ wäre es möglich, dass gegen eine Zusatzprämie eine Pandemie-Deckung bereitgestellt wird.

Die Schweizer Versicherer stehen unter enormem Druck, COVID-19-bezogene Produkte zu entwickeln, entweder als eigenständige Lösungen oder integriert in bestehende Versicherungen. Das ist eine schwierige Herausforderung für unseren Markt, insbesondere wenn es darum geht, den Preis für solche Produkte festzulegen. Zunächst werden wir abwarten, wie andere Märkte reagieren werden, vor allem der Lloyds- und der Londoner Markt.

Es ist sehr wichtig, dass die Versicherungsverträge klar und unmissverständlich formuliert sind, um Mehrdeutigkeiten auszuschliessen. Das zeigt sich jetzt besonders deutlich in Zeiten von COVID-19.

Adrian: Welches sind neben dem Pandemierisiko die Hauptrisiken, denen die Kunden in diesem Jahr ausgesetzt sind? Wird das politische Risiko erneut an Bedeutung gewinnen, wenn die Handelsspannungen wachsen und der Fokus auf Sanktionen weiter zunimmt?

Felix: Aufgrund der Vorrangstellung des Versicherungsgeschäfts für Finanzdienstleister in der Schweiz sind unsere Kunden besonders besorgt über die Zunahme von Cyber-Risiken. Die Häufigkeit von Cyber-Angriffen hat deutlich zugenommen – und man darf nicht vergessen, dass die Schweiz ein führendes Zentrum für Kryptowährungen, Blockchain und die damit verbundenen Technologien ist.

Eine zunehmende Besorgnis der Kunden ist, dass viele Versicherer hier die für Cyber-Produkte verfügbare Deckung erheblich verringert, die Obergrenzen gesenkt oder die Prämien deutlich erhöht haben. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Cyberschäden dramatisch zugenommen haben und es schwierig geworden ist, Rückversicherungsschutz zu kaufen.

Versicherer und Rückversicherer haben zudem tendenziell nur begrenzte Kenntnisse und Daten über die mit Kryptowährungen verbundenen Risiken, da diese Währungen erst seit etwa fünf Jahren existieren. Deshalb managen sie das Kapazitätsvolumen, das sie diesem Sektor zur Verfügung stellen, sehr sorgfältig. Die Herausforderung besteht darin, dass Kryptowährungen zunehmend in den Mittelpunkt krimineller Aktivitäten rücken und die Versicherer deshalb Verluste hinnehmen müssen.

Adrian: Was erwarten die Kunden von einem Versicherer in einem Marktumfeld wie zurzeit?

Felix: Die gegenseitige Verbundenheit mit der Liberty Group ist sicherlich sehr attraktiv für unsere Kunden, die sich einen Versicherer wünschen, dem sie vertrauen können, der ihnen stabile Preise und eine stabile Produktpalette bietet, der fair ist und langfristig am Markt etabliert ist. Finanzkraft ist auch ein wichtiger Faktor, denn die Kunden wollen sicher sein, dass die Kapazität nicht ohne Vorwarnung reduziert oder zurückgezogen wird.

Die Tatsache, dass die Liberty Mutual Group seit über 100 Jahren im Geschäft ist, ist ebenfalls sehr wichtig für unsere Kunden. Sie wissen, dass unsere Vorgehensweise wohlüberlegt und besonnen ist, und sehen diese Art von Konservatismus in einem sehr positiven Licht, insbesondere unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen.

Unsere Kunden schätzen uns, weil wir proaktiv handeln. Wenn zum Beispiel ein Kunde Schwierigkeiten hat, seine Prämie zu bezahlen, bieten wir ihm unter Umständen die Möglichkeit einer Ratenzahlung an. Oder wir schlagen dem Kunden einen höheren Selbstbehalt mit einer entsprechend niedrigeren Prämie vor. Genau diese flexible Einstellung und dieser partnerschaftliche Geist haben das Wachstum von Liberty auf dem Schweizer Markt begründet.

Einige unserer grösseren Wettbewerber haben ihre Kapazitäten für das Geschäft mit Finanzinstituten abgebaut, das Geschäftssegment also, wo Liberty in der Schweiz sehr stark ist. Der Kapazitätsabbau unserer Wettbewerber – hauptsächlich in FL und D&O – gibt uns die Gelegenheit, zusätzliches Geschäft zu generieren.

Adrian: Wie hat sich die Pandemie auf die Arbeitskultur ausgewirkt? Was sind die neuen versicherungstechnischen Überlegungen zu den Themen Kontingenz, bildende Kunst oder Haftpflicht?

Felix: Wir haben zurzeit ein Team von 19 Mitarbeitern, von denen die überwiegende Mehrheit von zu Hause aus arbeitet. Der Übergang zur Heimarbeit verlief schnell und sehr erfolgreich. Mein Team verfügt über die nötige technische Infrastruktur und fühlt sich sicher, wenn es von zu Hause aus arbeitet, was sich positiv auf die Stimmung ausgewirkt hat. Ausserdem haben wir bei Liberty einen ausgezeichneten IT-Support, so dass wir für unsere Kunden immer erreichbar sind.

Während die meisten grossen Versicherungsmakler auch von zu Hause aus arbeiten und sich online mit ihren Kunden treffen, haben uns einige kleinere Makler gebeten, mit ihnen zusammen Kunden zu besuchen, was wir sehr gerne getan haben. Wir haben uns auch darauf konzentriert, mit unseren Maklerkontakten online in Kontakt zu bleiben und mit ihnen einige virtuelle soziale Veranstaltungen abzuhalten.

Adrian: Wie können Versicherer zu einem nachhaltigeren Risikoumfeld beitragen?

Felix: Die Versicherungsbranche muss eine Rolle bei der Verringerung von Treibhausgasemissionen und des globalen Kohlenstoff-Fussabdrucks als Antwort auf den Klimawandel spielen. Die ökologische Nachhaltigkeit und die Auswirkungen des Klimawandels sind schon seit einiger Zeit ein zentrales Thema für Liberty. So verringern wir unsere eigenen Umweltbelastungen und treffen bei unseren Underwriting- und Investitionsentscheidungen verantwortungsvolle Entscheidungen. Wir sehen uns als Unternehmen in der Verantwortung gegenüber unseren Maklern, Geschäftspartnern und Versicherungsnehmern, Richtlinien und Standards zu verabschieden, die Verschwendung minimieren und Nachhaltigkeit maximieren.

Zwar hinkt die Schweiz im Umweltschutz den nordischen Ländern hinterher, aber die Öffentlichkeit denkt mehr und mehr über die Umwelt nach. Zum Beispiel gibt es hier grosse Unterstützung für den Kauf von Elektroautos. CO2-Emissionen sind ein Thema, ebenso wie die Notwendigkeit, sich um unsere Umwelt zu kümmern, etwas, das unsere Regierung mit Nachdruck unterstützt. Wir haben auch festgestellt, dass ein grosser Teil der jüngeren Generation einen umweltbewussteren Lebensstil pflegt und sich zum Beispiel dafür entscheidet, vegan zu leben. Hier in der Schweiz ist es für die Bevölkerung wichtig, dass wir eine solide, gut durchdachte Umweltpolitik betreiben.

Adrian: Wie war Ihre letzte Erneuerungsrunde und was erwarten Sie vom Markt im Jahr 2021? Gibt es ausreichende Kapazitäten und wo sind die Lücken/Problembereiche?

Felix: Wir sehen einen anhaltenden Wachstumstrend bei den Bruttoprämien in den letzten drei Jahren. Die Erneuerungen sind eine echte Chance für Liberty, sich als die beste Alternative unter den Spezialversicherern zu positionieren. Die Teams spielen auf allen Ebenen der Organisation eine entscheidende Rolle, um auf diese Herausforderung flexibel und schnell reagieren zu können.

Es ist unser Ziel, Kunden und Maklern, die sich mit «Sanierungsplänen» befassen, durch für unsere Kunden funktionierende, massgeschneiderte Lösungen zuverlässige Alternativen anbieten zu können. Dies funktioniert nur mit einer ganzheitlichen Betrachtung unserer Kunden, auf deren Basis wir dann eine angemessene Lösung anbieten können. Wir entwickeln uns in einem sich ständig verändernden Markt weiter, daher wollen wir von unserem Know-how, unseren personalisierten Lösungen und einer transparenten und schnellen Underwritingpolitik profitieren.

In der Schweiz hat sich der Markt so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr verhärtet, obwohl die Marktverhärtung nicht so ausgeprägt war wie in Grossbritannien. So haben sich die Prämien für D&O-Versicherungen verdoppelt. Dies hatte insbesondere Auswirkungen auf internationale Unternehmen mit US-Engagements, die an der Schweizer Börse notiert sind.

Die Kosten für Finanzversicherungen sind um etwa 20-25 % gestiegen, während die Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung nur leicht nach oben gingen. In anderen Produktbereichen wie der allgemeinen Haftpflicht oder der Versicherung von Kunstwerken sind die Prämienanpassungen eher gering, da auf dem einheimischen Markt noch genügend Kapazitäten vorhanden sind. Ein bemerkenswerter Nebeneffekt der Verhärtung auf dem britischen Markt ist, dass einige Geschäfte, die in London abgewickelt worden wären, hierhin gekommen sind, da unsere Prämien nicht im gleichen Masse gestiegen sind. Das ist eine hervorragende Entwicklung für den Schweizer Markt.

Adrian Ladbury: In welchen Bereichen sollte die Versicherungswirtschaft in Technologie investieren? Wäre es sinnvoller, einen qualitativ höherwertigen Service anzubieten oder die Kosten durch Effizienzsteigerungen zu senken?

Felix: Wir führen hier gerade zahlreiche Projekte durch, die erhebliche technische Verbesserungen und Innovationen mit sich bringen werden. Durch den Einsatz von Insurtech-Lösungen ist es möglich, sowohl einen qualitativ höherwertigen Service anzubieten als auch die Kosteneffizienz zu steigern, da mehr Technologieeinsatz zur Kostensenkung beiträgt. Wir wissen aber auch, dass es nach wie vor notwendig ist, Geschäfte auf herkömmliche Weise durchzuführen.

Die Pandemie hat gezeigt, dass Flexibilität geboten ist. Wir müssen flexibel darauf eingehen können, wie und wann unsere Kunden und Makler mit uns über Kommunikation, Trading, Risk Engineering und ähnliches zusammenarbeiten wollen. Unabhängig von der Situation wird uns die Technologie in die Lage versetzen, unseren Service auf die Bedürfnisse unserer Kunden zuzuschneiden.

Covid-19 hat unter Beweis gestellt, dass wir Geschäfte elektronisch abwickeln, virtuelle Besuche und Treffen arrangieren und effektiv aus der Ferne arbeiten können. Die Pandemie hat auch die Notwendigkeit einer beschleunigten Digitalisierung und einer umfassenderen Online-Kapazität zur schnelleren Bereitstellung von Dienstleistungen und Produkten an die Kunden unterstrichen.

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