Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Adrian Ladbury, Redaktor von Commercial Risk Europe, befragte Ronan Gerety, Geschäftsführer für den Versicherungsbereich Deutschland bei Liberty Specialty Markets (LSM), zu den Auswirkungen der Pandemie und weiteren Risiken, mit denen Mitglieder des GVNW konfrontiert sind, sowie dazu, welche bevorstehenden Erneuerungen Kunden von ihren Versicherungspartnern erwarten können.

Adrian Ladbury (AL): Wie sollten Versicherungsprodukte angepasst und verbessert werden, um auf die aktuelle Finanzkrise, die durch die Pandemie entstanden ist, zu reagieren?

Ronan Gerety (RG): Was die Covid-19-Pandemie geschaffen hat, ist aus meiner Sicht eine wirtschaftliche Unsicherheit, in einem Masse, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Selbst die Finanzkrise von 2007 hatte keine vergleichbaren Auswirkungen auf die Staatsausgaben und die Unternehmensbilanzen. Unsere Kunden schreien geradezu nach Stabilität, und genau das müssen wir ihnen als grosser Versicherer bieten. Wir können dies tun in Bezug auf unseren Risikoappetit und die Art und Weise, wie wir unsere Kapazitäten gestalten.

Unser Ziel ist es, dass unsere Maklerpartner und Kunden uns als einen soliden, stabilen und beständigen Partner sehen, der ihnen bei der Entwicklung wirksamer Lösungen für komplexe Risiken zur Seite steht. Wir sind überzeugt, dass die Versicherer, die ihre Kunden und ihre Mitarbeitenden in den Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stellen und Konsistenz in Service, Risikobereitschaft und Zeichnungskapazität bieten, sich in diesen schwierigen Zeiten am besten behaupten werden. Produktinnovation bleibt wichtig, aber zumindest vorübergehend steht für uns in Deutschland vielmehr die Konsistenz im Mittelpunkt. 

AL: Abgesehen vom Pandemierisiko – welchen Hauptrisiken sind die Kunden dieses Jahr ausgesetzt? Rückt das politische Risiko auf der Tagesordnung wieder nach oben, wenn die Handelsspannungen wachsen und der Fokus auf Sanktionen weiter zunimmt?

RG: Deutschland ist ein hoch industrialisierter, exportorientierter Markt, der stark auf das verarbeitende Gewerbe ausgerichtet ist. Seit der Finanzkrise von 2007 suchten wir ausserhalb der Europäischen Union nach neuen Exportmöglichkeiten und bauten unsere Handelsbeziehungen mit den BRIC-Ländern so weit aus, dass inzwischen ein beträchtlicher Anteil an unseren Gesamtexporten auf sie entfällt. China ist heute einer der grössten einzelnen Exportmärkte Deutschlands.

Die deutsche Industrie investierte zudem sehr stark im Ausland, baute dort neue Anlagen und erzielte eine beachtliche internationale Reichweite und Kosteneffizienz. Allerdings schuf dies für uns als Nation vor der Pandemie eine starke Abhängigkeit von unserer internationalen Lieferkette. Angesichts des Chaos, das die Pandemie verursachte, und zunehmender Spannungen in bestimmten Aspekten der internationalen Beziehungen überdenken inzwischen viele deutsche Risikomanager ihre Herangehensweise an dieses Modell. Wir stellen fest, dass inzwischen intensiv darüber nachgedacht wird, Schlüsselbereiche der verarbeitenden Industrie zurück nach Deutschland und in andere Länder der Europäischen Union zu holen, zumal die deutsche Regierung im Rahmen ihrer Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Covid-Pandemie möglicherweise auch versucht, solche inländischen Repatriierungsinvestitionen zu fördern. In der Vergangenheit hatten viele Unternehmen Outsourcing und Offshoring als Methoden zur Kostensenkung genutzt. Wenn also diese ausgelagerten Aktivitäten nach Europa zurückkehren, erwarten wir, dass die Digitalisierung deutlich beschleunigt und künftige Investitionspläne vorgezogen werden, um die Kosten niedrig zu halten. Die repatriierten Geschäftsbereiche werden somit bezüglich Hightech und Digitalisierung weiter fortgeschritten sein und weniger Mitarbeitende beschäftigen.

Als Nettoergebnis dieser Entwicklung wird sich die Risikoexponierung der deutschen Unternehmen verändern. Es ist zu erwarten, dass sich die Risikomanager dieser repatriierten Industrien stark auf IT-Risiken, Maschinenausfälle und Cyberrisiken konzentrieren werden.

Darüber hinaus werden 1,7 Billionen Euro aus dem Europäischen Investitionsfonds für neue Bauprojekte und grössere Strassenbauprogramme verwendet werden. Dies wiederum wird zur Rückkehr von Lieferketten nach Europa und einem Anstieg der Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften beitragen.

Zusammenfassend: wenn die deutsche Industrie ein Ziel hat, dann ist es das, ihre Anfälligkeit für Menschen, Politiker und Pandemien zu reduzieren. Risikomanager wollen wissen, ob die Versicherer auf derselben Seite stehen.

AL: Was wollen die Kunden von einem Versicherer?

RG: Die Pandemie hat sich auf die kurz- bis mittelfristigen Kundenbedürfnisse ausgewirkt. Wie bereits erwähnt, wollen die Kunden im Moment genau wissen, wo sie mit ihrem Versicherungspartner stehen. Sie wollen wissen, dass ihr Risiko versichert wird, und dass der Preis nicht stark schwanken wird.

Einmal abgesehen von den unmittelbaren Anforderungen aufgrund der Pandemie, suchen die Kunden eine langfristige Partnerschaft mit einem Versicherer, basierend auf einem gemeinsamen Verständnis ihrer Bedürfnisse und der Verpflichtung, in jeder Phase Mehrwert zu schaffen. Was Liberty Specialty Markets für Kunden besonders attraktiv macht, ist ihre Gegenseitigkeit. Das bedeutet, dass wir nicht unter dem Druck von Aktionären stehen, kurzfristige Gewinne zu erzielen. Wir haben den Raum und den Grad an Weitblick, um an langfristigen Zeithorizonten zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen, die für den Kunden und für den Erfolg unserer Partnerschaft richtig sind.

Wir engagieren uns auch an den Märkten, in denen wir Underwriting betreiben. Kennzeichnend für unseren Ansatz ist, dass wir uns langfristig engagieren.

AL: Wie hat sich die Pandemie auf die Unternehmenskultur ausgewirkt? Welche Folgen ergeben sich für das Underwriting und die Schadenregulierung?

RG: Die unmittelbarste Folge für unsere Teams war die Notwendigkeit, ausserhalb vom Arbeitsplatz zu arbeiten. Unmittelbar vor dem Lockdown hatten wir eine Überschwemmung in unserem Gebäude, sodass wir bereits unsere Arbeitsplätze verlegen und Remote Work einführen mussten und alle unsere IT-Systeme gründlich getestet worden waren.

Ein weiterer Schlüssel für effektives Remote Work ist eine ausgezeichnete Kommunikation. Ob von oben nach unten, seitwärts oder von unten nach oben, es muss klar kommuniziert und jede Information erfasst werden. Das Remote Work wurde besonders auf die Probe gestellt, als sich Liberty aufgrund von Covid mit zahlreichen Eventualforderungen gleichzeitig konfrontiert sah. Ich bin sehr stolz darauf, wie unser deutsches Schadenteam alle Kommunikationshürden überwunden hat und die gesamten Ressourcen von Liberty zu mobilisieren und das Vertrauen des Mitversicherungsmarktes zu gewinnen vermochte. Damit erleichterte es die vorzeitige Kündigung versicherter Ereignisse und ermöglichte unseren Kunden eine rasche und faire Schadenregulierung.

Liberty war schon immer sehr aktiv am physischen Markt. Risiken mit hohem Volumen und geringer Komplexität können unter den derzeitigen Bedingungen ziemlich einfach gehandelt werden; eine Herausforderung sind hingegen die Risiken mit hoher Komplexität. Bei diesen erweist sich unser fundiertes Wissen über unsere Kunden als enormer Vorteil sowohl für uns als auch sie selbst. Wir versuchen, uns gegenseitig so gut wie möglich per Telefon oder Webchat zu informieren, vermissen jedoch den persönlichen Kontakt.

AL: Wie können Versicherungen dazu beitragen, ein nachhaltigeres Risikoumfeld zu fördern? 

RG: Das Leben in Deutschland ist weitgehend von der öffentlichen Meinung geprägt – und die deutsche Öffentlichkeit ist sehr umweltbewusst. Die Botschaft von Greta Thunberg wurde hier sehr positiv aufgenommen, und die grüne Partei hat ein sehr grosses Mitspracherecht in unserer Politik. Wir haben bereits deutlich gemacht, dass wir als Nation aus der Kernenergie aussteigen werden. Die deutschen Unternehmen haben auf diese Botschaften gehört und darauf reagiert.

Unser Ausstieg aus der Kernenergie hat zu einem hohen Druck auf unsere verbleibenden traditionellen Energiequellen geführt. Das bedeutet, dass Kohle in Deutschland noch für einige Zeit wichtig bleiben wird. Wir sind noch nicht in der Lage, ausschliesslich grüne und erneuerbare Energiequellen zu nutzen.

Unsere Rolle bei Liberty ist es, den Übergang zu sauberer Energie zu fördern. Hierfür knüpfen wir unsere Policen an bestimmte Bedingungen. Zudem achten wir darauf, nur solche Energieunternehmen auszuwählen, die eine Energieproduktion auf die sauberste und effizienteste Weise nachweisen können.

Es hat eine bedeutende Verschiebung in Richtung Nachhaltigkeit stattgefunden. Als «Corporate Citizens» anerkennen wir unsere Verantwortung gegenüber unseren Maklern, Geschäftspartnern und Versicherungsnehmern, Richtlinien und Standards zur Abfallminimierung und Maximierung der Nachhaltigkeit einzuhalten. Recycling, Technologie E-Marken, Corporate Social Responsibility, ökologische Nachhaltigkeit – das Unternehmen arbeitet mit Technologien, die unsere Auswirkungen auf den Planeten reduzieren. Wir verfügen über eine verantwortungsbewusste Reiserichtlinie zur Reduzierung unseres Kohlenstoff-Fussabdrucks sowie eine Recycling-Richtlinie mit Technologien die es uns ermöglichen unseren Verbrauch natürlicher Ressourcen zu minimieren, und bieten finanzielle Nachhaltigkeit, effizientes Arbeiten, Abfallreduzierung sowie Verständnis und eine Rationalisierung der Dienstleistungen die unsere Kunden wünschen und benötigen. Risikomanager sind für das Management dieses Risikos verantwortlich. In der Risikopreisgestaltung ist ein Nachhaltigkeitselement berücksichtigt, und die Risikomanager verstehen die Nachhaltigkeitsagenda und stellen sicher, dass diese bei der Entwicklung von Risikotransferlösungen eingehalten wird.

Im Rahmen des Projekts Project Optimist arbeiten wir beispielsweise mit Logistik-, Lager- und Frachtunternehmen in Italien zusammen, die nachhaltige Wege für den Gütertransport nutzen, auch dann, wenn dies teurer, aber besser für den Planeten ist. Diesen Ansatz würden wir gerne auch in Deutschland sehen.

AL: Wie war Ihre letzte Erneuerung und was erwarten Sie vom Markt im Jahr 2020? Gibt es ausreichende Kapazitäten, und wo bestehen Lücken/Problembereiche?

RG: Wir haben in den letzten drei Jahren einen deutlichen Wachstumstrend bei den gebuchten Bruttoprämien verzeichnet. Die Erneuerungen sind für Liberty eine echte Chance, sich als relevanter Akteur in den Spezialbereichen des deutschen Industrie- und Gewerbeversicherungsmarktes zu positionieren. Die Rolle der Teams auf allen Ebenen der Organisation ist entscheidend, um agil und rasch auf diese Herausforderung zu reagieren. Unsere Strategie besteht darin, unseren Kunden zuzuhören, und eine stabile, konsistente Liberty-Kapazität bereitzustellen, um ihre Bedürfnisse optimal zu erfüllen. Liberty ist hier gut aufgestellt: als Teil einer Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit sind unsere langfristigen Ziele voll und ganz auf die langfristigen Interessen unserer Versicherungsnehmer ausgerichtet.

Deutschland ist ein ausgesprochen reifer Markt. Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, hätte ich Ihnen gesagt, dass unser heimischer Versicherungsmarkt über mehr als ausreichende Kapazitäten für all unsere Bedürfnisse verfügt. In den letzten sechs Monaten wurde der Markt jedoch von weichen Bedingungen, einer Marktkonsolidierung, einer Underperformance in einigen Sektoren, niedrigen Anlagerenditen und hohen Kostenquoten getroffen, und das Coronavirus hinterlässt seine Spuren.

In der Folge ist die Kapazität in Deutschland geschrumpft. In der Vergangenheit wären Kapazitätsengpässe von deutschen Maklern ausgeglichen worden, indem sie sich an den Londoner Versicherungsmarkt wandten, angesichts der Unsicherheit im Zuge des Brexit bevorzugen sie jedoch eine lokale Lösung. Ebenso reduzieren viele Akteure die Kapazität und versuchen gleichzeitig, die Rentabilität zu erhöhen. Das bedeutet, dass einige Maklerfirmen, die in der Vergangenheit keine Geschäfte mit Liberty in Deutschland abschlossen, nun interessiert sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Die grosse Herausforderung für uns wird darin bestehen, wie wir diese Nachfrage angesichts des harten Marktes bewältigen.

Gegen Ende dieses Jahres rechnen wir mit einem starken Anstieg der Nachfrage nach unserer Kapazität. Das letzte Drittel wird besonders anspruchsvoll sein, da wir mit zahlreichen Makleranfragen aus dem gesamten Markt rechnen. Wir sind derzeit daran zu prüfen, wie wir unsere Ressourcen am besten lenken können, indem wir zum Beispiel bevorzugte Makler und Kunden identifizieren, mit denen wir uns eingehender abstimmen können. Das bedeutet, dass unser Liberty Value-Angebot nicht nur gut auf ihre Geschäftsportfolios zugeschnitten sein wird, sondern, was noch wichtiger ist, dass wir Kosteneinsparungen erzielen dürften, indem wir unsere administrativen Funktionen stärker an ihre anpassen. Gleichzeitig werden wir auch einen Teil unserer Ressourcen für so genannte opportunistische Geschäfte einsetzen. Dabei handelt es sich um Geschäfte, die Liberty zu besonders attraktiven Bedingungen angeboten werden, vom Kunden wahrscheinlich aber bald wieder vermarktet werden könnten.

Es ist unser Ziel, dass mindestens 80% des Geschäfts in unserem Portfolio strategisch und langfristig gezeichnet werden.

Mittelfristig erwarten wir, dass wegen Brexit mehr deutsche Risiken lokal versichert werden. Liberty hat seine Post-Brexit-Handelsstrategie bereits umgesetzt, und die meisten unserer Kunden sind auf ein No-Deal Brexit gut vorbereitet.

AL: In welchen Bereichen sollte die Versicherungsbranche in Technologie investieren? Ist es besser, einen verbesserten Service oder niedrigere Kosten durch Effizienzsteigerungen anzubieten?

RG: Man kann mit Fug und Recht sagen, dass der gesamte Versicherungssektor in Bezug auf Digitalisierung und Effizienz hinter der Kurve liegt. Als Branche leiden auch wir unter der Datenduplikation, da die Daten vom Kunden über den Makler zum Versicherer und wieder zurück fliessen. Das bedeutet, dass bei weiten Teilen der Branche Verbesserungsbedarf besteht, insbesondere was die Verringerung der Duplikation, Erhöhung der Genauigkeit und Erleichterung des Datenzugriffs betrifft. Gegenwärtig liegen in der Branche riesige Datenmengen vor, die besser für das Risikomanagement genutzt werden könnten.

Das andere Problem besteht darin, dass bei reduzierten Investitionserträgen die Gesamtrentabilität bedeutet, entweder höhere Prämien zu verlangen oder effizienter zu werden.

In einem ersten Schritt können wir durch eine stärkere Ausrichtung auf unsere bevorzugten Maklerpartner und Kunden Doppelarbeit reduzieren sowie die Gesamteffizienz und Kosteneinsparungen verbessern. Zweitens investiert Liberty in Europa auch massiv in neue Technologien sowie in die Schaffung digitaler Plattformen und Risikomanagement-Tools, um eine genauere Preisgestaltung und einen effizienteren Vertrieb zu gewährleisten. Dadurch dass wir zu einem globalen Versicherungs- und Rückversicherungsriesen gehören, haben wir bei der Schaffung dieser neuen digitalen Technologie Zugang zu viel grösseren Ressourcen und Grössenvorteilen.

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