Nachhaltigkeitsberichterstattung im Finanzsektor – Zeit, reinen Tisch zu machen

Die Natur hat uns in diesem Jahr auf ziemlich brutale Weise daran erinnert, wie zerstörerisch Naturkatastrophen sein können. Noch ist es viel zu früh, um das Ausmass der durch Covid-19 hervorgerufenen Verluste zu bestimmen. Nichtsdestotrotz sprechen die globale Reichweite der Viruserkrankung und die breite Streuung an Auswirkungen über alle Wirtschaftssektoren hinweg für sich. Auch wenn sich die Versicherungsbranche des Pandemierisikos sehr wohl bewusst war, wurde die Welt von den Schäden der Pandemie völlig unvorbereitet getroffen.

Nachhaltigkeit rückt in der ganzen Welt als vordringliche Aufgabe immer mehr in den Vordergrund. Die Versicherer stehen in der Pflicht, eine angemessene und branchenweite Strategie für alle mit Nachhaltigkeitsrisiken verbundenen Gefahren zu entwickeln.

Das liegt nicht nur im Interesse der Versicherer selbst, sondern die Gesellschaft verlangt dies auch. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, um dies nicht in den Vordergrund zu rücken.

Nachhaltigkeitsrisiken wirken sich im Wesentlichen auf zwei Arten auf den Finanzsektor aus.

Erstens sind die Versicherungsansprüche betroffen. Ein Beispiel hierfür sind die Winterstürme Anatol, Lothar und Martin im Jahr 1999. Sie lösten nicht nur massive Verluste aus, sondern zeigten durch ihre Schwere und die Tatsache, dass sie innerhalb weniger Wochen auftraten, auch Defizite in der Risikomodellierung auf.

Zweitens bestehen so genannte Übergangsrisiken, d.h. das Risiko, dass Vermögenswerte an Wert verlieren, wenn die Wirtschaft auf eine nachhaltigere Basis gestellt wird.

Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, werden zum Beispiel mit einer grossen Einschränkung ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert sein, während die Welt anstrebt, ihre Kohlenstoffemissionen zu verringern. Unternehmen, die für ihre Produktion viele Rohstoffe benötigen, wären aus ähnlichen Gründen ebenfalls exponiert.

Vor diesem Hintergrund untersuchen Investoren und Aufsichtsbehörden nun genauer, wie Unternehmen über diese Risiken berichten.

Sie fordern auch mehr Transparenz. Wie hoch sind die Übergangsrisiken, denen Unternehmen des Finanzsektors ausgesetzt sind? Wie vereinbar ist ihr Handeln mit der nachhaltigen Zukunft des Planeten? Ziehen sie kurzfristigen Gewinn einem Geschäftsmodell vor, das langfristig Bestand haben wird?

Investoren brauchen Informationen, die es ihnen ermöglichen, die Umweltbilanz von Finanzunternehmen im gesamten Sektor zu vergleichen.

Das erfordert eine Berichterstattung der Finanzunternehmen über die Vereinbarkeit ihrer Geschäftstätigkeit mit der Wirtschaft von morgen und deren Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG), Lieferkettenmanagement und ähnlichen nachhaltigen Praktiken.

Diese Anforderungen hat auch der Schweizer Gesetzgeber zur Kenntnis genommen. Er drängte im Wesentlichen auf die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung mit dem Ziel, diese in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln.

Der Bundesrat (das Exekutivorgan der Schweiz) machte diese politische Linie im Juni offiziell, als er einen Regierungsbericht und Richtlinien zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor verabschiedete, die darauf abzielen: «Die Schweiz zu einem führenden Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen zu machen».

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA setzt diese Strategie zurzeit um und führt bis zum 19 Januar 2021 eine öffentliche Konsultation zu den Transparenzanforderungen bezüglich der Klimarisiken von Finanzinstituten durch. Sie plant, die Ergebnisse zu nutzen, um zwei Rundschreiben zu überarbeiten: Rundschreiben 2016/1 Offenlegung – Banken und Rundschreiben 2016/2 Offenlegung – Versicherer. Die neuen Verpflichtungen werden im Wesentlichen Folgendes umfassen: Governance-Anforderungen; die Aufnahme von Nachhaltigkeitskriterien in die Unternehmensstrategie; die Einbeziehung klimabedingter finanzieller Risiken in den Risikomanagementprozess; die verbesserte Quantität und Qualität der Informationen über Risiken und die damit verbundenen Korrekturmassnahmen.

Die Schweiz hat auch eine Reihe von internationalen Abkommen zu diesem Themenkomplex unterzeichnet.

Sie ist der Pariser Klimakonvention beigetreten und hat sich damit verpflichtet, die Kohlenstoffemissionen bis 2030 um 50 % gegenüber 1990 zu senken.

Im Pariser Abkommen wird der Finanzsektor übrigens ausdrücklich aufgeführt. Ein Kernziel ist es: «Finanzströme in Einklang zu bringen mit dem Streben nach niedrigeren Treibhausgasemissionen und einer klimaverträglichen Entwicklung».

Darüber hinaus haben eine Reihe Schweizer Finanzinstitute die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) unterzeichnet, die darauf abzielen, ESG-Themen bei Investitionen zu fördern.

Einige Beobachter mögen zwar argumentieren, dass diese regulatorische Verschärfung Druck auf die Finanzdienstleistungsunternehmen ausüben wird, aber die allgemeine Reaktion des Sektors war in der Tat positiv.

Dies macht auch Sinn, denn im gesamten Sektor ist eine wachsende Zahl von Umweltinitiativen zu beobachten.

Beispielsweise führte der in Zürich ansässige Rückversicherer Swiss Re im Jahr 2018 eine Kraftwerkskohlepolitik ein, wonach der Versicherer keine Unternehmen mehr rückversichert, die zu mehr als 30 % in der Kohleverstromung oder im Kohlebergbau engagiert sind.

Ein weiteres Beispiel ist der Immobilienmarkt. Swiss Life, ein bedeutender Immobilieninvestor, wendet jährlich rund CHF 300 Millionen in seinen bestehenden Liegenschaften in der Schweiz auf, um die operative Umsetzung seiner Nachhaltigkeitsstrategie voranzutreiben.

Zudem strebt das Versicherungsunternehmen für Neubauprojekte in der Schweiz die Erreichung des Minergie®-Standards (oder anderer nachhaltiger Baustandards) an.

Generell ist der Markt für nachhaltige Investitionen in der Schweiz gemäss der «Schweizer Marktstudie Nachhaltige Anlagen 2020» im Jahr 2019 erneut zweistellig gewachsen.

So stieg das Marktvolumen, gemessen an den Antworten auf eine von Swiss Sustainable Finance (SSF) durchgeführte Marktumfrage, um 62% auf CHF 1.163,3 Milliarden.

Diese Zahlen belegen, dass der Schweizer Finanzsektor bereits begonnen hat, sein Engagement für eine nachhaltige Zukunft zu verstärken, und dass er den Ehrgeiz der Aufsichtsbehörden teilt, das Thema Nachhaltigkeit von einem potenziellen Problemfeld in eine grundsätzliche Geschäftsmöglichkeit umzuwandeln. Natürlich lassen sich immer wieder Unzulänglichkeiten aufzeigen und Wege finden, wie Banken und Versicherer mehr tun sollten.

Dennoch lässt sich der Trend zur Rücksichtnahme auf die Umwelt nicht leugnen.

Ausserdem dürfte dem Finanzsektor ein vernünftiges Mass an Flexibilität zugestanden werden, um festzulegen, wie er das Thema Nachhaltigkeit verstärkt umsetzen will. Zumindest gibt es keine wesentlichen Hinweise darauf, dass die Regulierung übermässig kompliziert ausfallen wird.

Der Bundesrat scheint einem subsidiären Ansatz anzustreben, der die Voraussetzungen für eine marktorientierte Umsetzung der Pariser und anderer relevanter Ziele schaffen soll.

Gleichwohl befinden sich die entsprechenden regulatorischen Entwicklungen noch im Anfangsstadium.

Die FINMA muss noch genau definieren, wie die neuen Meldepflichten aussehen sollen. Und wie werden die Investoren reagieren, wenn die Finanzinstitutionen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung mit Substanz und Leben füllen? Werden sie zufrieden sein oder werden sie weitere Massnahmen fordern?

Angesichts des schieren Ausmasses dieses Themas für Wirtschaft und Gesellschaft auf der ganzen Welt ist es mehr als wahrscheinlich, dass noch einige Hürden vor uns liegen. Gleichzeitig wurde die Branche von dieser bevorstehenden regulatorischen Entwicklung nicht unvorbereitet getroffen.

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